Liebe Frau Griese, liebe WELT,
dass ich Letztere in diesem offenen Brief adressieren muss, entsetzt sogar mich ein wenig, denn gibt es für die WELT keine höher priorisierten Themen als 6-Minuten-Lesedauer-Fatshaming deluxe von einer frustrierten alten Dame mit „ziemlich dicken Backen“ und offensichtlich → Siegerin des „Wer schreibt heute den asozialsten Beitrag für die WELT?“-Wettbewerbs.
„Übergewicht ist ein Problem – und keine Errungenschaft.“
Ich möchte dieses Zitat von Frau Griese gern korrigieren:
„Intoleranz ist ein Problem – nichts, womit man sich dermaßen brüsten sollte!“
Frau Griese, Übergewicht mag tatsächlich ein Problem sein – Ihres. Für mich. Ihr Übergewicht an Intoleranz, Unfreundlichkeit, nicht vorhandener Sympathie. So wie Sie von den Oberschenkeln von Ashley Graham angewidert sind, bin ich es von Ihrem Artikel, der vom ersten bis zum letzten Wort eine Ansammlung an hochdosiertem Fatshaming ist, dass es nur so kracht.
Es ist mir ein Rätsel, wie eine erwachsene Frau (!) in Ihrem Alter in der Lage ist, sich so sehr über eine Frau zu echauffieren, der es mit Sicherheit an ihrem dicken Hintern vorbeigeht. Ich will es nicht mal auf den Neid schieben, der sicher ganz lautstark in Ihnen brodelt („Die Fette verdient auch noch Geld damit, so obszön fett zu sein!“ höre ich es bis hierher in Ihrem Kopf spuken), sondern einfach darauf, dass Sie offenbar dermaßen kleinkariert sind, dass es einfach nicht in Ihren Kopf geht, dass Ihre Meinung keine Meinung, sondern ein eklatanter Haufen an Kuhmist ist, der Ihnen wohl das Hirn vernebelt hat – anders kann ich mir einen solchen Artikel nicht erklären.
„Und jetzt mal ehrlich: Die Oberschenkel sind furchtbar. Man kennt die Sorte nur zu gut im Zusammenhang mit zu kurzen Shorts in Disneyland Orlando.“
Ich muss zugeben, dass ich am liebsten jeden einzelnen Satz aus Ihrer Ashley-Graham-ist-ja-soooo-fett-Rezension kommentieren würde, aber da gibt es ein paar Blüten, so wie dieses Zitat.
Frage: Tut es eigentlich weh so zu sein wie Sie? Wenn man morgens aufsteht, sich vor die Schreibmaschine setzt und sich einen Menschen aussucht, der offensichtlich mit seiner Art anderen Menschen Mut macht, sie inspiriert und dabei eben nicht so ganz dem gängigen Schönheitsideal entspricht? Ich muss davon ausgehen, dass Sie unter starken Schmerzen leiden, denn so viel Intoleranz, Hass und Ekel muss ganz schön belasten. So sehr, dass Sie es vermutlich am liebsten mit Tinte und Feder auf Pergament an eine Kirchentür genagelt hätten, um der Welt (und der WELT!) mitzuteilen, wie unzufrieden Sie doch damit sind, dass vollkommen normalgewichtige Frauen wie Ashley Graham als tatsächliches Model Erfolg haben. Und das ganz ohne Ihren Zuspruch, ohne Ihre Erlaubnis! Ja, wo kommen wir denn da hin?!
Und dann noch all die Menschen, die nichts besseres zu tun haben als ihre fetten Oberschenkel in kurze Hosen zu packen, wenn es warm ist! Lassen Sie mich raten – Sie haben vor dem Artikel noch kurz mit Ihrer Leidensgenossin und Kollegin → Frau von Kürthy über diese Thematik geschnackt! Ach, muss das ein herrliches Beisammensein gewesen sein, da hat das Lästern bei Sahnetorte in vollen Backen (gell, dafür sind die so praktisch!) sicher richtig viel Spaß gemacht.
„Aber diese Schenkel sind einfach nicht Mode, sie sind zu fett. Man darf das noch sagen in Europa. In den USA würde man wahrscheinlich wegen Diskriminierung verklagt. Es gibt auch ein Foto von Ashley aus dem Fitnessklub beim EMS-Training. Aber entweder ist es nur eine Momentaufnahme oder EMS Mist.“
Ach Frau Griese, Sie werden es kaum glauben, aber bloß weil man etwas in Europa noch sagen darf, muss man so einen gequirlten Mist wie Ihren auch nicht zwangsweise veröffentlichen. Tatsache ist: es ist vielleicht nicht strafbar sich so aufzuführen, aber dafür macht es Ihren doch sehr hässlichen Charakter sehr sichtbar. Da hilft es auch nicht, wenn Sie vielleicht schlanker sind als Ashley, es hilft auch nicht, wenn Sie sich verhüllen sollten, falls Sie es nicht sind (und ich bin davon überzeugt, dass Sie sich dafür unheimlich schämen würden, wenn Sie es wären, denn dann müssten Sie sich ja an die eigene Nase packen und sich ellenlang selbst diskriminieren!) – wer ein Mal gelesen hat, wie Sie so drauf sind, wenn es um Ihre Mitmenschen geht, die nicht Ihrem Anspruch genügen, der hat dann leider auch kein Interesse mehr daran, dass Sie sogar so gnädig sind, Mrs. Graham Ihren Erfolg zu gönnen. Schade aber auch!
Und noch etwas gebe ich Ihnen mit auf den Weg: Sie werden es kaum glauben, aber es gibt viele dicke Menschen, die Sport treiben. Und vielen davon sieht man es nicht an, denn nicht jeder rackert sich im Fitnessstudio ab, um Ihnen eine Abnahme zu beweisen, sondern um fit zu sein. Und ich möchte schätzen, dass Ashley im Vergleich zu Ihnen dann wohl doch sportlicher sein wird – es sei denn, Sie duellieren sich in „Beleidigendem Verhalten“. Da gewinnen Sie haushoch. Und sind dann Ihre eigene „Ermunterung“, die Sie zum Abschluss Ihres Artikels erwähnen. Ob Sie darauf allerdings stolz sein sollten? Nein.
„Das große gesellschaftliche Problem der westlichen Welt und erschreckend zunehmend auch der Schwellenländer sind nicht die Dünnen.“
Ja, da haben Sie wohl ausnahmsweise mal Recht. Es sind nicht die Dünnen, die das Problem sind. Es sind Menschen wie Sie. Menschen, die es sich zur Aufgabe machen, dicken Menschen ihr Recht auf Sichtbarkeit nehmen zu wollen. Menschen, die es für unumgänglich halten, Ihre übertrieben negative Haltung einem anderen Ideal als ihrem eigenen gegenüber, auf eine unverschämte Art und Weise in die Welt hinauszuposaunen, um sich anschließend wie ein Messias zu fühlen, der uns alle vor dem Untergang rettet – denn der wird schließlich durch das Übergewicht der Anderen hervorgerufen.
Ich habe schon einige Male darüber geschrieben und auch Sie möchte ich fragen, in welcher Art und Weise Ihnen das (Über-)Gewicht von Ashley Graham oder auch anderen Frauen das Leben schwer macht? Beeinträchtigt es Sie so sehr, dass dieses Model (ja, verdammt, sie ist eins!) Erfolg hat und oft zu sehen ist, dass Sie nicht mehr das Haus verlassen können? Zwingt Sie ihr „Fettsein“ (und bei Gott, das ist sie bei Weitem nicht – wie geblendet sind Sie eigentlich?!) dazu, es ihr gleichzutun und auch fettfettfett (ein bisschen möchte ich Sie beim Lesen genauso quälen wie Sie mich!) zu werden? Und wenn ja – was wäre so schlimm daran? Ich dachte, Sie freuen sich über Ihre dicken Backen? Jetzt stellen Sie sich mal vor, was Sie mit einem dicken Körper so alles anstellen können! Wenn es nach Ihnen geht, gar nichts mehr, ja, aber wenn es nach Frauen wie Ashley Graham und auch mir geht, dann sollen Sie sich wohlfühlen dürfen, so wie Sie sind. Darum geht es. Darum gibt es nun auch vermehrt Plus-Size-Models auf den Laufstegen. Logischerweise in erster Linie aus Marketinggründen, aber auch, weil die Welt (leider aber offensichtlich nicht die WELT) verstanden hat, dass nur dieses eine Ideal, das zudem auch noch viel zu oft retuschiert wird, um noch unerreichbarer zu werden, einfach nicht funktioniert. Dass auch dicke Frauen repräsentiert sein müssen. Um Ihre Frage, den Titel Ihres Artikels zu beantworten:
JA!!! Es ist mehr als wünschenswert, dass Models dick sein dürfen! Gerne auch außerhalb dieser Pseudo-Norm, bei der selbst die „Curvy Models“ (Rubens hätte sich übrigens unwahrscheinlich drüber gefreut, sprechen Sie da doch bitte mal nicht für den Mann, der Ashley sicher als seine neue Muse engagiert hätte!) wieder in ein Optimum gepresst werden, das Mindestgröße und Maximalkleidergröße hat und im Zweifelsfall eine Sanduhrfigur sein sollte.
Mit freundlichen Grüßen,
Luciana Blümlein